Marga Bührig

Beim Nachdenken darüber, was für sie Spiritualität
ist, erzählt Marga Bührig über ein Collage, das sie
einmal angefertigt hatte:
„Meine Unterlage war grün. Darauf klebte ich
ganz rechts unten eine graue Kirche….
Daneben setzte ich einen Baum und eine Blume…
Mich erinnerten sie an eine meiner letzten
Frauenwochen auf Boldern.
Da hatten Frauen gemeinsam riesige Lebensbäume
auf grosse Bogen von Packpapier gemalt.
In der linken oberen Ecke des Bildes flog ein kleiner
Vogel, als wollte er aus dem Bild hinausfliegen.
Ich wollte ihn aber doch nicht wegfliegen lassen.
So setzte ich kurz entschlossen die Andeutung eines
Regenbogens über das Bild…
Als ich das Ganze noch einmal anschaute, fand ich,
dass etwas fehlte – aber was?
Nach einigem Umschauen griff ich zu einem
Rest leuchtend roten Papiers, schnitt daraus das
Frauenzeichen und klebte es in die Mitte des Bildes…

Ich versuche eine Deutung…
Ich komme nicht von ihr (der Kirche) los, das ist klar,
und seit ich im Sommer 1983 in Vancouver dazu ja
gesagt habe, mich ins Präsidium des Ökumenischen
Rates der Kirchen wählen zu lassen, ist das noch
klarer geworden…. Die Kirche meiner Hoffnung,
die Gemeinschaft der Gläubigen, das Volk Gottes
– wer immer das sein mag – sieht anders aus.
Diese Gemeinschaft ist näher bei den Blumen
und Bäumen, näher beim Leben.
Und doch bin auch ich ein Teil jener grauen Kirche,
ich bin nicht nur draußen, ich bin auch drinnen,
ich bin geprägt von ihrer Tradition…
Und das Frauenzeichen in der Mitte?
Es ist leuchtend rot, eigentlich so rot, wie es in
meinem Leben kaum gewesen ist…
Ich habe lange gebraucht, bis ich gerne eine Frau
war. Aber das Rot ist eine meiner Lieblingsfarben,
auch wenn ich es erst spät in meinem Leben zu
tragen wagte… Hätte ich gewagt, das zu sagen, was
ich wirklich in mir spürte, hätte ich vielleicht die
von mir so geliebte dunkelrote Pfingstrose mit den
vielen Blütenblättern genannt, die mein Vater in
seinem Gartenbeet zog.

…Als alternde Frau habe ich das leuchtend rote
Frauenzeichen mitten in mein Bild gesetzt.
Es steht für viele positive Begegnungen mit Frauen,
für Freundschaft mit Frauen, für die Erfahrungen,
dass ein unerhörtes Potential von nicht genützter
Energie und Lebenskraft in Frauen verborgen ist.“

Aus:
“Spät habe ich gelernt,
gerne Frau zu sein.”

Eine feministische Autobiographie.
Stuttgart 1999, 14-17.